Was lange währt...
Die Initialzündung zu diesem "Hausbuch" erfolgte vor vielen Jahrzehnten in Brigels, damals, als es noch lange kein Internet gab, und geschah im Grunde genommen deshalb, weil es hier keine Micky-Maus-Heftchen zu kaufen gab.
Nach einer langen und recht abenteuerlichen Bahnfahrt mit viel Gepäck verbrachten wir in den Fünfziger- und Sechzigerjahren jeweils fünf bis sechs Wochen Sommerferien in Brigels, und heute stelle ich mir vor, dass so herumflanierende Feriengäste aus dem Unterland für die hart arbeitenden Bergbauern ein eigenartiges Bild abgegeben haben mussten.
Natürlich unternahmen wir nicht jeden Tag Hochtouren. Zeigte sich das Wetter zweifelhaft, pflegte mein nun nicht bürogestresster Vater sich in die Ustria Sursilvana zu verschieben, um sich in aller Ruhe ein Churerbier spezial zu genehmigen, während mein älterer Bruder mit dem Teil der Dorfjugend herumstrich, der grad nichts helfen musste. Ich, in kurzen Hosen und mit stets aufgeschürften Knien, blieb in der Obhut der Mutter. Sie wiederum begab sich in solchen Momenten gerne auf einen Schwatz zu meiner Tante, die in der Casa Fausta Capaul abgestiegen war. Die beiden Schwestern, die nicht in der gleichen Stadt wohnten, liessen bei ihren Begegnungen jeweils einem aufgestauten Mitteilungsbedürfnis freien Lauf. Als Lehrerin verfügte meine Tante über viel Freizeit, als Ledige über viel Freiheiten. Das begriff ich, doch was ein Dernier Cri sei, was Puder und Rouge bezweckten oder was einen Mann zu einer gute Partie machte, da tappte ich noch in spanischen Dörfern. Üblicherweise wurde mir kurz vor solchen Begegnungen ein Micky-Maus Heftchen spendiert, worin sich der Kleine vertiefen konnte - und so weniger mitbekam, was bestimmt ausserhalb des Interessensgebietes eines zehnjährigen Buben und vielleicht auch nicht immer ganz jugendfrei war.
So sassen wir drei am Stammtisch im 1. Stock der Casa Fausta Capaul, zwei Schwatzende und ein quengelnd Scharrender, weil ohne Micky Maus. Auf dem Tisch das Kaffee crème meiner Tante, ein Tee citron meiner Mutter, mein Sirupglas, ein paar Brösmel, eine aufgerollte Butterstengeltüte, wo man reinblasen konnte - und dann noch dieser schmiedeiserne Aschenbecher von damals mit den Schwefelhölzchen in der Mitte.
Anders als bei den "Sicherheitszündhölzern" konnte man für die Schwefelhölzchen alle möglichen Materialien als Reibfläche verwenden. Die Schieferplatte des Tisches eignete sich vorzüglich, wie ich unter missbilligenden Blicken feststellte, das Holz des Stuhls hingegen war aussichtslos.
Nach und nach hatte ich alle Hölzchen aufgebraucht und musste mich nach Ersatzbeschäftigung umsehen. Das Frölein, also die Serviertochter, wie das Servicepersonal damals hiess, zeigte Empathie und brachte einen großen Ledereinband mit vielen zerlesenen Seiten. Ein richtiger Schunken: Brattig, Album, Almanach, Gästebuch und Archiv in einem. Ein Hausbuch! Da standen die Namen von illustren Touristen, die mal hier abgestiegen waren. Ich las vor: Konrad Escher von der Linth, Conrad Ferdinand Meyer - jetzt unterbrachen die beiden Frauen kurz ihr Gespräch und gaben sich wissend. Ferner las ich, wozu Geissen gehalten werden, weshalb ein Heiliger Nepomuck neben der Brücke steht und ein Gedicht von Giachen Hasper Muoth auf Rätoromanisch. Viel war über Berggipfel und Passrouten geschrieben und gezeichnet, ich erfuhr, dass die Bauern von Brigels ihr Vieh auf der Limmernalp und ihre Schafe im Muttseegebiet sömmern und dass der Kistenpass seit jeher die Verbindung zum Glarnerland war. Weniger Interesse konnte ich den Rezepten für Gerstensuppe und Capuns abgewinnen, auch mit der Dorfprominenz war wenig anzufangen, doch dann las ich, dass die berühmte Familie de Latour wegen des Meierturms (la tour) Marmarolla so hiess. Eine Burgturm mitten im Dorf, den ich nicht gesehen hatte? Überhaupt, die Ritterburgen! Die Gegend entpuppte sich dank dieses Hausbuches als ein Mekka für Burgenforscher. Einmalig war die Ruine Kropfenstein, wie ein Kropf klebte sie unter einem imposanten Felskinn. Beeindruckend präsentierte sich die Anlage der Jörgenburg. Sogar Reste des Galgens sollen noch in der Nähe sein. Mit leuchtenden Augen las ich, dass die Jörgenburg mal einem Mathias von Rungs gehört hatte. Sicher ein direkter Vorfahre von mir, was mir Mutter und Tante heftig bestätigten - ihr Augenzwinkern irritierte mich nur wenig, meine Brust schwoll, da ich mich plötzlich als Erbe einer Ritterburg sah. Durch mein späteres Geschichtsstudium verfinsterte sich dann allerdings das Mittelalter und verlor an Romantik, trotzdem ist mein Interesse bis heute geblieben (deshalb haben "Burgen" in meinem Surselva-Hausbuch eine eigene Rubrik). Alle diesen "doofen Steinhaufen", wie sich ein frühpubertäres Familienmitglied zu äussern pflegte, hatte ich damals erwandert und erklettert, ob sie nun Jörgenberg, Grottenstein, Grünfels oder Vogelberg hiessen.
In den letzten Wochen vor den Ferien sind Lehrer jeweils im Stress. Es bleibt zwischen Lehrerkonferenzen, Aufsatzkorrekturen, Notenrechnen und Elterngesprächen kaum noch Zeit für den Unterricht, geschweige denn für das Planen der Ferien. So waren meine Reiseziele meist Blitzentscheide. Wie oft sass ich dann plötzlich in einem Ferienhäuschen irgendwo zwischen Nordengland und Südfrankreich, konnte knapp den Namen des Ortes richtig aussprechen und fragte mich, was es hier so alles gibt. Sich nach den Werbeprospekten richten heisst, auf Nepp reinfallen. Im Baedeker oder Michelin steht, wann der Ort erstmals erwähnt wurde, der Baustil der Kirche und welcher Meister das Altarbild schuf, dass die Leute Schafszucht und Torfabbau betreiben, Zahlen über Höhe über Meer, Einwohner, Gasthäuser und Kapellen. Spannend wie die Börsenkurse oder ein Telefonbuch sind sie, diese Reiseführer. Mein Geheimtipp, und erst noch gratis: Für einen ersten Überblick sind die Kartenständer am Bahnhofkiosk am ergiebigsten.
Warum lassen die Ferienwohnungsvermieter nicht ein Hausbuch in der Wohnung aufliegen? Ganz einfach: Weil es solche Hausbücher kaum gibt und eine Eigenproduktion zu aufwendig ist.
Deshalb stelle ich hier mit meiner Homepage den Interessierten einen Grundstock an Material und Ideen für ein Hausbuch zur Verfügung, welches sich nach eigenem Gusto gestalten und erweitern lässt.
Drucken Sie die Blätter aus, welche Sie interessieren. Lochen und in einen gediegenen Ordner ablegen. Mit eigenem Material ergänzen. Einige Blanko-Seiten als Gästebuch führen, weitere als Familien- oder Wohnungschronik. Zeitungsartikel aufkleben, Fotogalerie mit eigenen Fotos ergänzen. Ideen gäbe es noch viele.
...wird endlich gut - vielleicht mit Ihrer Hilfe!
Falls Sie die Surselva kennen und falls Sie in meinen Texten Fehlinformationen entdecken, melden Sie mir das doch kurz und unkompliziert! (derlorenz@mittelschulvorbereitung.ch) Denn bitte, obwohl Autor dieser Homepage, erhebe ich doch nicht den Anspruch, Surselva-Experte zu sein! Auch wenn ich hier seit Jahrzehnten regelmässig Ferien verbringe. Auch wenn Breil/Brigels zufälligerweise mein Heimatort ist. Im Gegenteil. Denn was ich in der schönen Kulturlandschaft und in diesem Naturparadies entdecke, das sehe ich halt mit anderen Augen und aus anderem Winkel als ein Einheimischer. Gerade deshalb masse ich mir an, Besucher der Surselva auf Schönes und Interessantes hinzuweisen. Habens Sie mir einen Tipp? Den nehme ich gerne auf! Meine Blätter wollen eine erste Übersicht sein. Die Infos stammen aus vielen Quellen: natürlich Wikipedia, da kommt heute kein Sachbuchschreiber mehr herum, dann gesammelte Zeitungsartikel, Schulbücher, Handbücher, Wanderbücher, meistens eigenhändig aufgenommene Fotos, Zeitschriften (Terra Grischun), eigene Recherchen.
Verlassen Sie sich bitte nicht blind auf meine Angaben, z.B. was die Temperatur des Badsees im April betrifft, das vorgeschriebene Fangmass von Steinforellen, die Öffnungszeiten der Ustrias oder Bestände von Ziegenherden. Für genaue, aktuelle und verbürgte Zahlen und Fakten, für Details und Vollständigkeit sind dann die Wanderbücher und Kulturführer aus der Buchhandlung Maggi in Ilanz, die offiziellen Homepages der Gemeinden sowie die Informationen aus dem Biro turistic des Ortes zuständig. Meist hilft auch Google weiter.
An dieser Stelle Dank meinem bewährten Webmaster, Dr. Cyril Topfel, Bern, fürs Einrichten der Homepage.
Breil/Brigels, Urtenen-Schönbühl, im April 2012
Lorenz Derungs